Man kann sich viel wünschen. Ein Perlenarmband, ein elektrisches Keyboard, oder einen Besuch im Disneyland. Das alles ist natürlich eine Frage des Geldbeutels; nichtsdestotrotz scheinen Eltern an Weihnachten besonders viel Zaster für ihre Lieben auszugeben. Ich wünsche mir dieses Jahr jedoch eine Sache, die wenig kostet: Meinen Papa.
Er ist ein beschäftigter Mann, mein Papa. Als Anwalt arbeitet er für eine große Kanzlei, die überall im Land vertreten ist und schon viele wichtige Fälle angenommen hat. Letztes Jahr hat Papa einen bekannten Schauspieler vor Gericht verteidigt – und gewonnen. Und auch in diesem Jahr war er ständig unterwegs gewesen, um seine Mandanten vor Ort zu unterstützen.
Am 24. Dezember, also am Heiligen Abend, sollte Papa aus Berlin heimkommen. Er hatte dort eine kleinkarierte Künstlerin vertreten, die aufgrund eines ihrer Gemälde in einen Rechtsstreit geraten war. Papa hatte mir kürzlich erst geschrieben, dass er bald daheim sein würde. Doch der Schneesturm, der seit Tagen über das Land fegte, schien ein baldiges Wiedersehen unmöglich zu machen. Denn die Flughäfen sagten alle anstehenden Abreisetermine ab und auch die Schienen der Bahn waren unmöglich zu befahren. Alle Mietwagen waren darüber hinaus bereits ausgebucht.
Ich war traurig. Denn statt mit meinen beiden Eltern fröhlich am Kaminfeuer Mensch-Ärgere-Dich-Nicht zu spielen und heiße Schokolade zu trinken, mussten meine Mutter und ich wohl alleine Weihnachten feiern. Enttäuscht nahm ich das dritte Gedeck vom Tisch und verstaute Papas Geschenk wieder im Schrank. Weihnachten war für mich gelaufen.
Meine Mutter, die nicht gern das Handtuch warf, saß auf Papas Schreibtischstuhl und dachte nach. Plötzlich schien ihr eine Idee zu kommen. Sie schlug vor, mit dem Auto nach Berlin zu fahren und Weihnachten im Hotel mit Papa zu verbringen. „Der Schnee ist stark, ich weiß. Aber mit etwas Proviant überstehen wir die Fahrt sicher. Ich rufe deinen Vater an und sage ihm, dass wir kommen werden. Packst du uns etwas heiße Schokolade und Kekse ein?“
Und so kam es, dass Mama und ich kurzerhand im Wagen saßen und nach Berlin fuhren. Die Straßen waren mit Schnee bedeckt, aber auffallend leer. Die meisten Menschen mussten schon bei ihren Familien sitzen und Weihnachtsbraten futtern. Bis auf den Winterdienst verirrte sich kaum jemand auf die Autobahn. Die Fahrt zog sich einige Stunden, aber mit Plätzchen und Kakao brachten wir die Zeit auf der Straße leicht hinter uns.
Angekommen im Hotel, wurden wir schon freundlich vom Personal in Empfang genommen. Aufgeregt sprang ich die Treppen hinauf bis hin zum Zimmer meines Vaters. Vorsichtig öffnete ich die Tür. Im Raum entdeckte ich zuerst einen improvisierten Weihnachtsbaum aus grünen Ästen, daneben einen Stapel Gesellschaftsspiele und drei Schachteln Pizza.
Mein Vater trat plötzlich aus einer Ecke hervor und schloss mich fest in die Arme. Sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er überglücklich war, uns beide zu sehen. Enttäuscht teilte ich ihm jedoch mit, dass ich sein Weihnachtsgeschenk im Schrank vergessen hatte. Mit einem breiten Lachen im Gesicht antwortete mein Vater: „Mit dir Weihnachten zu feiern ist das schönste Geschenk!“