„Wer schreitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist die Mutter mit ihrem Kinderwagen-Kind!“ So oder so ähnlich lauten die Zeilen, die Goethe 1782 einfühlsam zu Papier gebracht hat. Ok, Spaß beiseite. Das habe ich mir natürlich ausgedacht. Während ich hier sitze. Wach. Nachts um vier. Müde. Hundemüde sogar, um genau zu sein. Aber mein Baby halt nicht.
Seit etwa 170 Tagen bin ich immer dann wach, wenn andere schlafen. Manchmal nur für zwanzig Minuten. Aber eben auch mal für mehrere Stunden. Dann laufe ich, mal geduldig und mal genervt, mit meiner Tochter in der Trage auf und ab. Oder gehe mit ihr raus. In die Dunkelheit. Weil ab und zu nichts anderes hilft, um das schreiende Kind zu beruhigen. Weil es Nächte gibt, in denen Milch, Schnuller und Kuscheltiere eben nicht ausreichen. Und deshalb weiß ich, dass die Welt nachts eine andere ist.
Denn in der Nacht ist die Welt friedlich. Friedlich, weil kaum Autos fahren. Friedlich, weil außer dem Baby nichts zu hören ist. Und friedlich, weil die meisten Menschen endlich zur Ruhe kommen. Keine E-Mails schreiben oder Termine vereinbaren müssen. Keine Diskussionen führen oder Beschwerden einreichen können. Deshalb steht die Welt still. Für fünf, sechs Stunden. Bevor die Sonne aufgeht und ein neuer Tag anbricht. Ein Tag voller E-Mails, Diskussionen und Beschwerde-Briefen. Denn Nachts schlafen alle. Naja, bis auf manche Eltern eben.
Genau deshalb genieße ich diese nächtlichen Momente. Sie gehören nur uns. Meinem Baby und mir. Und auch, wenn mir nach einer anstrengenden Nacht die Augenringe bis zu den Kniekehlen hängen, werde ich es vermissen. Irgendwann. Sobald sie durchschläft. Wenn uns dann nur die Tage bleiben. Und ich zwischen Kindertränen, Wäschebergen und kochendem Nudelwasser hin und her rennen muss. Tausend Sachen managen muss. Mich aufteilen muss. Es ist und bleibt also die Nacht, die ihren stillen, aber zauberhaften Schleier über alles legt. Es ist die Nacht, die nicht nachfragt, wann das Essen fertig ist oder wann der nächste Zahnarzt-Besuch fällig wird. Das alles ist der Nacht egal. Vielleicht hat Goethe das geahnt. Damals, 1782.